2009 ist das Jahr der Jubiläen: 2000 Jahre nach der Varus-Schlacht startet am Sonntag der 38. Hermannslauf vom Detmolder zur Bielefelder Sparrenburg. Für unseren Hermann-verrückten Rob ist es der 25. Hermannstart, also das silberne Jubiläum. Das erfolgt übrigens genau 30 Jahre nach seinem Debüt, das er 1979 als 14-Jähriger gab. Hier die besten Fotos der Anfangsjahre des Hermann und zur Einstimmung ein Textbeitrag aus der Vorbereitung 2001.
Der ,,Hermann’’ und die Zeit: Same procedure as every year
Immer wenn der Hermann ruft, habe ich dieses Gefühl: als wenn die Zeit stehen bleibt. Hat man nicht Jahr für Jahr die gleichen Ziele, verspürt die gleichen Ängste, leidet unter den gleichen Verletzungen? Es ist so: Same procedure as every year! Auch am großen Tag des Laufes. Wenn sich der Bus morgens früh zum Denkmal hoch schlängelt, hört man vorher die immer gleichen Dialoge und wenn man am frühen Nachmittag im Ziel zur Kleiderausgabe schlurft, gibt’s genauso die gleichen Statements wie in jedem Jahr. Mal vernimmt man Euphorie, mal Erklärungen zur verpatzten Vorstellung.
Beim Lauf selbst spürst Du die gleichen Schmerzen, der Einbruch kommt meistens an derselben Stelle und die Gefühle sind an den neuralgischen Punkten genauso wie im letzten Jahr. Und nachher? Die sogenannten After-Hermannslauf-Treffs, wo die Erörterungen dann bei einer Flasche Bier ins Detail gehen, veranstalten die Vereine stets in den gleichen Kneipen oder Clubhäusern. Auch die Vorbereitung ist, wenn der Hermann ruft, häufig dieselbe. Weniger als im Vorjahr will sich wohl niemand erlauben und mehr ist beim fixen Zeitbudget, aber auch der (begrenzten) Gesundheit, vielfach nicht drin.
Dabei ist die Vorbereitung das vielleicht schönste am Hermannslauf – abgesehen natürlich vom Zieleinlauf durch das enge Spalier an der Sparrenburg, denn dieses Gefühl ist nicht zu toppen. Training, und dann noch zur schönsten Frühlingszeit, macht immer dann Spaß, wenn man das Ziel vor Augen hat. Vielleicht tummeln sich deshalb jeden Sonntagmorgen ab März auf der ,,Hermann-Piste’’ so viele Jogger. Die wollen ihr Ziel sehen — und an der Aura des Laufes schnuppern. Es ist halt etwas anderes, ob man auf weiter Flur des Teutoburger Waldes, sagen wir mal zwischen Steinhagen und Dissen seine Strecken läuft oder ob man auf der Originalstrecke mit dem großen ,,H’’ dem Schweiß des „Hermann“ folgt. Wer’s ausprobiert hat, kennt das Phänomen.
Am letzten Sonntag vor dem großen Tag sind wir schon eine Stunde lang unterwegs, als Tobi und ich am Tönsberg auf den Hermannsweg einbiegen. Und sofort ist die Zeitreise präsent: Tönsberg – „Wenn wir hier oben mal schon wären.“ Schutzhütte, die Zwischenzeitnahme zur Streckenhälfte. „Laut Internet-Berechnung des Veranstalters darf ich hier zwei Minuten langsamer sein als meine Durchgangszeit vor zwei Jahren“, rechnet Tobi seinen Zeitplan auf persönliche Verbesserung vor. Tönsberg-Gaststätte – Die vielen Zuschauer. Oerlinghausen – Verpflegung. „Was wirst Du nehmen?“, fragt Tobi leise. „Höchstens einen halben Molke-Riegel“, antworte ich. An den gleichen Stellen trifft man stets die gleichen Leute. Schopketal. Beim Schild ,,noch 10 km’’ steht stets der legendäre Peter Hartmann, früher Trainer der BTG, des Post SV und der LAG Gütersloh. ,
Sofort habe ich vor Augen wie er in seiner typischen Art die Backen aufpustet, die Augen aufsperrt und dann förmlich explodiert: „Los, los, los. Arme mitnehmen.“ Hartmann steht heute natürlich nicht da, aber der immer gleiche Spruch klingt trotzdem in den Ohren. Sogar die eindringliche Betonung schwingt im Kopf. Aus dem Tal raus geht es auf die Straße. Hier steht jedes Jahr der Siegmund. Schon oft hat er mir hier zugerufen „den anderen geht es nicht besser“ und genauso oft hat mir dieser Spruch geholfen. 500 Meter weiter hat es letztes Jahr unseren Kollegen zerrissen. „In diesen Vorgarten hat er sich vor unseren Füßen auf den Rasen gelegt“, zeigt Tobi, im Vorjahr Zuschauer. Wenig später erreichen wir die Lämershagener Treppen, ein Marienfelder und Clarholzer Fan-Stützpunkt. Die Zuschauer wollen helfen, aber es geht nicht. „Mir haben sie hier beim letzten Mal Bananen angeboten“ sagt Tobi, „dabei hätt’ ich eher kotzen können.“ Darüber, dass der vorletzte Berg vor dem „Eisernen Anton“ einer der schwierigsten ist, sind wir uns schnell einig. Roter Lehm, Geröll, steil – zum Glück ist das Ding recht kurz.
Erst jetzt fällt auf, dass kaum Läufer auf dem „Hermanns-Highway“ unterwegs sind. Gibt es doch so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm? Einen Kilometer weiter ist die Zeitreise beendet. Wir schütteln die Beine locker aus, halten fest, dass nächste Woche mit dem „Eisernen Anton“ und der „Habichtshöhe“ noch zwei weitere Berge kommen und sind uns sicher, dass die uns nicht umwerfen, wenn wir es bis hierher geschafft haben.
Gedanklich bin ich sowieso schon auf der Promenade. Dort, auf der Zielgerade am letzten Kilometer, wird wieder Wolrad Schulz vom Veranstalter TSVE stehen und Zwischenzeiten brüllen. Wahrscheinlich wird er wie jedes Jahr rufen, dass ich schlecht aussehe. Und, dass ich es gleich geschafft habe. Erlöst werde ich sein, wenn er ruft, dass die zwei Stunden noch drin sind, denn wenn es so ist, dann errechnet und ruft Wolrad das immer. Und immer alles auf einmal, in einem Satz.
Dann werde ich mich in die abschüssigen 1.000 Meter hinunter zur „Schönen Aussicht“ stürzen und dabei an Hartmann denken, die Arme mitnehmen, an Wolrad, dass ich es schaffen kann und an Stefan, meinen Physiotherapeuten. Toll, wie der mich muskulär wieder hingebogen hat vor diesem „Hermann“. Wenn die Zuschauer dichter werden, kommt auch die Stimme des immer gleichen Sprechers, Wolfgang Temme, zunehmend lauter durch. 200 Meter vor dem Ziel steht meine Mutter, immer links und immer neben Frau Brandt. 100 Meter vor dem Ziel wartet meine Freundin Diana und die vielen Bekannten. Die Arme werden gereckt, abgeklatscht.
Ziel. Umschauen. War das wieder knapp! Mit der Zeit, mit den Kräften, mit allem. Aber, das war und ist ja immer so. Und nicht nur in diesem Moment meine ich dann, die Zeit stehe still. -rob