Harsewinkel (rob). Eigentlich sollte es ein Text werden über Vanessa Bradlers Triathlon-Training in der Schwangerschaft. Text und Schlagzeile „Mit dem Rennrad in den Kreißsaal“ waren fertig, aber dann, wenige Tage vor der Geburt des kleinen Luan, fanden alle Beteiligten, es sei besser, die Veröffentlichung später zu machen. Dann, wenn alles gut gelaufen ist. Das ist jetzt der Fall: Seit neun Wochen ist Vanessa Bradler stolze Mutter, seit 30 Tagen ist sie wieder im Training. Am kommenden Sonntag gibt sie bei den Deutschen Lehrermeisterschaften in Rheine ihr Comeback.
Dass sich bei den Bradlers derzeit alles um Sport und Familie dreht, ist vielleicht ein eigenes Thema. Der ebenso stolze Vater Claas Bradler wird eine Woche danach seinen zweiten Ironman-Versuch in Kopenhagen unternehmen – nachdem er in Hamburg zwar glänzte, aber zum vollen Glück das Schwimmen fehlte. Wieder wird er von Frau und Sohn an der Strecke unterstützt werden. „Für den Seelenfrieden ist dieser Start und unser Mitreisen wichtig“, sagt Vanessa Bradler.
Dass auch bei ihr während der Schwangerschaft das Triathlontraining zum Tagesablauf gehörte wie Essen und Schlafen, daran hatten sich in Familie, Verein und Umfeld alle gewöhnt. Trotzdem gab es auch für die hartgesottenen Dreikämpfer Überraschungen. Als im Mai beispielsweise der Wetterdienst Gewitter mit Unwetter für ganz NRW vorausgesagt hatte, tickerten in der Fahrradgruppe des Vereins Trispeed schnell die Absagen durchs Netz, teils garniert mit Bildchen von den dramatischen Wolkenbewegungen. Vanessa Bradler erreichten sie nicht. „Wir kommen“, schrieb sie und trat mit dickem Bauch auch bei Regen kräftig ins Pedal. „Muss sich eigentlich immer dieser Pädagogen-Dickschädel durchsetzen?“, hatte ihr Mann Claas da noch geflucht, sich dann aber mit aufs Rad gesetzt.
Fast 5.000 Kilometer hat die 33-Jährige seit dem 1. Januar gestrampelt, inklusive Mallorca-Radwoche über Ostern. Schwanger ist sie während dieser Zeit mehr gefahren als im Jahr zuvor in der Vorbereitung auf ihre Langdistanz-(„Ironman“)-Premiere in Almere im September. „Pause“ ist ein Wort, dass die Grundschullehrerin nicht so gern hört. Um nach der Schwangerschaft schnell wieder Anschluss zu finden, hatte sie sich früh entschieden, so lange wie möglich sportlich am Ball zu bleiben. Und, der Sport verschaffte ihr die nötige Ablenkung, wenn es während der Schwangerschaft mental mal nicht so gut lief.
Im Wasser ist die „gelernte“ Rettungsschwimmerin ohnehin zu Hause. Das Laufen dagegen war keine Leichtigkeit. Immerhin war Ende April eine Teilnahme beim Hermannslauf drin – Berge gehen, runter traben. „Ich war sogar schneller als bei meinem ersten Hermann vor drei Jahren“ strahlte sie nachher, als sie nach rund 4 Stunden die Sparrenburg erreicht hatte. Teamkolleginnen und Bekannte hatten das intensive Lauftraining auf der Bahn im siebten Monat einstellen müssen. Vanessa Bradler lief 48 Stunden vor der Entbindung mit dickem Gürtel um die Hüfte ihre letzten Runden im Stadion. Der letzte Trainingstag vor der Geburt bestand aus 45 km Radausfahrt zum Sassenberger See und 4 km Freiwassertraining.
Den zeitlich größten Anteil hatte bei ihr in der Schwangerschaft das Radtraining. Im Winter hatte sie MTB-Fahrten forciert, weil das leichter fiel als Laufen. „Ich fahre mit dem Rad bis in den Kreißsaal“, entgegnete sie gern auf dumme Nachfragen. Eine Freundin aus Köln sei im Mai zu Fuß zur Entbindung gegangen. Letztlich kam es zu dieser Radtour aber nicht. Auf Veranstaltungen wurde sie während der Schwangerschaft auf ihren Sport hingegen manches Mal angesprochen. „Ist das gesund?“, hatten viele gefragt, aber Arzt und Hebamme hatten ihr stets grünes Licht gegeben. Einmal sei sie bei einer RTF von zwei Frauen direkt angegangen worden, als sie eine 130-km-Tour gefahren war. Die meisten äußerten indes Bewunderung. Und Männer gingen unkomplizierter mit diesem Sportverhalten um als Frauen, hat Vanessa Bradler festgestellt.
In der Ebene wunderten sich indes nicht nur die Männer, dass Vanessa Bradler trotz des breiten Tritts – Knie nach außen bis unter den Bauch – so gut mithielt. In Flachstücken ließ sie sich auch bei Tempo 38 nicht abhängen und blieb im Windschatten. Fronleichnam, zehn Tage vor der Entbindung, rollte sie noch einmal 125 Kilometer durch die Bad Essener Berge. „Schwierig waren die Anstiege“, erzählt sie rückblickend. Erstens musste sie das zusätzliche Gewicht hochbringen, dann drückte auch noch der Embryo so auf die Lunge, dass das Atmen schwer fiel.
Geduld braucht sie aktuell auch beim Wiedereinstieg. Vier Kilo Schwangerschaftsgewicht sind noch da. Die Bauchmuskulatur kann sie erst in einigen Wochen wieder aufbauen. Somit fällt das Sitzen auf dem Radsattel schwer und der Rücken schmerzt. Beim Laufen sind nur kurze Einheiten möglich. Ohnehin muss sie viel auf die Uhr schauen. Spätestens nach zweieinhalb Stunden meldet sich der kleine Luan. Die Radgruppe muss jetzt entsprechend auf die Tube drücken.
Zum Glück geht es in Rheine nur über die Sprintdistanz — eine Strecke, die sie eigentlich weniger mag. Vanessa Bradler tröstet sich vorerst damit, dass manche Leistungssportlerin nach der Schwangerschaft schneller war als vorher. Schwangerschaften wirkten wegen der Belastung für den Organismus wie Training, sagen Trainingswissenschaftler. Mannschaftskollegen im Verein, die sich über ihre flotte Fahrten im letzten Frühjahr gewundert hatten, sagen heute, dieser Effekt sei bei ihr wohl schon vor der Geburt eingetreten.